Handschriftensammlung der Stiftung Händel-Haus jetzt online
Händel-Haus-Blog 2025/01
Jens Wehmann (Abt. Bibliothek/Archiv/Forschung)
Oft hört man, es sei schade, dass viele Objekte einer musealen Sammlung in den Depots verschwinden und nicht in den Ausstellungen gezeigt werden. Die Klage ist sicherlich nachvollziehbar; doch gibt es für diesen Umstand vielerlei Gründe: Manches passt vielleicht nicht zu der Geschichte, die man mit einer bestimmten Ausstellung erzählen möchte, anderes kann aus konservatorischen Gründen nicht gezeigt werden, einiges mag von erheblichem wissenschaftlichem Interesse bei gleichzeitig geringem Schauwert sein, oder es reicht schlicht der Platz der Ausstellungsfläche nicht. Dennoch ist natürlich der Wunsch berechtigt, alle Sammlungsobjekte dem Publikum zugänglich zu machen. Eine Möglichkeit dazu ist die Digitalisierung der Bestände, also die vollständige bildliche Reproduktion aller Sammlungsgegenstände, ergänzt mit beschreibenden Texten, sowie deren Präsentation im Internet.
Nachdem bereits seit einigen Jahren die umfangreiche Grafiksammlung sowie die Sammlung der frühen Händel-Notendrucke im Internet stehen, ist nun die Handschriftensammlung der Stiftung Händel-Haus an der Reihe. Die vollständige Sammlung wurde nach Leipzig transportiert, wo die Firma PAL Preservation Academy hochwertige digitale Abbildungen von jedem Dokument erstellte. Parallel dazu haben wir die schon vorhandenen beschreibenden Daten bereinigt, fehlende Transkriptionen ergänzt und mit den Abbildungen zusammengeführt. Das Hosting im Internet erfolgt über die Plattform Museum-digital Sachsen-Anhalt des Museumsverbandes. Die Datensätze sind in Kürze auch über die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) oder einfach über Google suchbar. Das Projekt wurde durch das Land Sachsen-Anhalt gefördert.
Insgesamt haben wir über 900 Handschriften digitalisieren lassen, von denen die meisten auch im Internet gezeigt werden. Ein kleiner Teil ist aus urheberrechtlichen Gründen vorläufig noch zurückgestellt. Die Gesamtzahl der bisher online veröffentlichten Objekte der Stiftung Händel-Haus steigt damit auf über 2.600 an.
Unter den digitalisierten Dokumenten befinden sich neben frühen Abschriften von Händels Werken zum Beispiel auch Notenhandschriften und Korrespondenz von halleschen Komponisten wie Samuel Scheidt, Carl Loewe, Johann Friedrich Reichardt oder Robert Franz. Zu den wertvollsten Objekten gehört die im Jahr 2024 erworbene sehr frühe Handschrift der Coronation Anthems (ca. 1730-1740), eine zentrale Quelle dieses für die britische Monarchie so wichtigen Werkes, die damit jetzt erstmals der Öffentlichkeit online zur Verfügung steht. Von großer Bedeutung sind auch eine italienische Handschrift des Messiah (1768), die die erste Aufführung von Händels vielleicht bekanntester Komposition auf dem europäischen Festland belegt, oder zwei kleine Abschriften von Händels persönlicher Freundin Elizabeth Legh (ca. 1718), die einen direkten Zugang zu seinen Originalhandschriften hatte.
Der umfangreichste Teilbestand, der in das Projekt einbezogen wurde, ist der Briefwechsel aus dem Nachlass von Friedrich Chrysander (1826–1901), der über 450 Dokumente, also etwa die Hälfte des gesamten Projektes umfasst. Der Pionier der Händel-Forschung war Verfasser einer grundlegenden Händel-Biografie und brachte beinahe im Alleingang eine Ausgabe der Werke Händels heraus, die noch heute Verwendung findet und als Basis für die Hallische Händel-Ausgabe dient. Dass Händel heute der am meisten gespielte Barockkomponist auf Opernbühnen ist, verdanken wir Chrysander, der die Opern vollständig in seiner Gesamtausgabe abgedruckt hat, obwohl es damals praktisch keine Aufführungsmöglichkeiten dafür gab.
Der schriftliche Nachlass Friedrich Chrysanders ist heute weit verstreut. Ein erheblicher Teil wurde allerdings im Jahr 1960 für das Händel-Haus angekauft und gehört heute zu den Zimelien unserer Sammlung. Ein Großteil des Briefwechsels macht die Korrespondenz mit Johann Baptist Wolf, dem Geschäftsführer des Notenverlags Schott & Co. in London, mit dem Chrysander vielerlei geschäftliche und private Interessen verbanden, aus. Weitere Briefe geben Zeugnis von den Vorbereitungen zu den Mainzer Händel-Festen in den 1890er Jahren sowie dem Erwerb historischer Musikinstrumente für das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe durch eine Spende des Dirigenten Hans von Bülow. Gerne teilte Chrysander auch Neuigkeiten aus dem Hause seines Nachbarn Fürst Bismarck mit – sein Sohn Rudolf war Arzt und Sekretär des ehemaligen Reichskanzlers in Friedrichsruh. 2026 jährt sich Friedrich Chrysanders Geburtstag zum 200. Mal.
Ein wirkliches Autograph von Georg Friedrich Händels Hand hat die Stiftung Händel-Haus übrigens trotz vielerlei Bemühungen bisher noch nicht erwerben können. Die Gründe dafür liegen in der geringen Anzahl der noch im Privatbesitzt befindlichen Händel-Handschriften und in den daraus resultierenden sehr hohen Preisen. Sollte uns ein solcher Ankauf dennoch eines Tages gelingen, würde diese Handschrift nicht nur für unsere Dauerausstellung, sondern auch für unser Internetangebot ein absolutes Highlight sein.
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