
Das Festspiel-Thema
„Die Oper: Streit um Tweedledum und Tweedledee“
Die Händel-Festspiele in Halle an der Saale werden 2023 unter dem Motto „Die Oper: Streit um Tweedledum und Tweedledee“ stehen. Mit dem Zitat aus einem Gedicht in einer Londoner Zeitschrift des Jahres 1725, das auf die Konkurrenz zwischen den Opernkomponisten Giovanni Bononcini und Georg Friedrich Händel abzielt, soll akzentuiert werden, dass die Oper seit jeher Gegenstand von Auseinandersetzungen gewesen ist, in denen kulturpolitische und künstlerische Interessen miteinander verknüpft gewesen sind. Dies gilt allemal auch für die beiden Opernakademien, für die Händel zwischen 1719 und 1734 leitend tätig war, und denen sich die Konkurrenz zwischen der „Opera of the Nobility“ und Händels Wirken im Covent Garden Theatre bis zum Jahr 1737 anschloss. Auf nahezu allen Ebenen der Opernproduktion zeigen sich Verknüpfungen hin zu übergreifenden politisch-kulturellen und sozialen Aushandlungsprozessen: sei es in der Organisation, Patronage und Finanzierung der Akademien, sei es im Publikum, sei es in der öffentlichen Kritik, sei es in der Repertoire-Auswahl und den Libretti, sei es bei den Sängerinnen und Sängern, sei es bei den Szenarien und Bühnenbildern, sei es bei den Kompositionen selbst.
Gedanken zum Thema der Festspiele
Auch der traditionsreiche Opernbetrieb hat historische Krisen erlebt. Vor nicht einmal 50 Jahren forderte beispielsweise der renommierte Komponist und Dirigent Pierre Boulez in einem Interview im „Spiegel“: „Sprengt die Opernhäuser in die Luft!“, womit er insbesondere eine Leichenrede auf die moderne Oper hielt, aber darüber hinaus auch das System Oper an sich in Frage stellte.
Georg Friedrich Händel stand wiederholt vor großen Herausforderungen, die italienische Oper in England zu etablieren. Seine erste Oper für London, der 1711 entstandene „Rinaldo“, fand zwar beim englischen Publikum und der Presse außerordentliches Interesse. Dennoch wurde schon bald erste Kritik an der Oper laut, beispielsweise, dass dieses Genre ein lächerliches Zwitterdasein führe, in einer Sprache geschrieben sei, die niemand versteht, und darüber hinaus viel zu teuer sei. Händel versuchte in den kommenden gut 30 Jahren die Engländer immer wieder vom Gegenteil zu überzeugen. Ab Mitte der 1720er Jahre kam für ihn ein zusätzliches Problem auf: Die Opernliebhaber teilten sich – ganz zur hämischen Freude der Operngegner – in zwei Lager und stritten heftig darüber, ob die Opern Händels oder die von Giovanni Bononcini die besseren sind. Es kam zu einem musikalischen Kräftemessen und einer offen ausgetragenen Rivalität der beiden Komponisten. Zeugnis hierüber gibt ein zeitgenössisches, ironisches Epigramm des Dichters John Byrom, welches das Motto der Händel-Festspiele 2023 inspirierte:
"Some say, compar’d to Bononcini
That Mynheer Handel’s but a Ninny
Others aver, that he to Handel
Is scarcely fit to hold a candle
Strange all this Difference should be
Twixt Tweedle-dum and Tweedle-dee!"
- John Byrom - Epigram on the Feuds Between Handel and Bononcini -
Während die Royal Academy, das erste Londoner Opernunternehmen, für das Händel ab 1719 arbeitete, bei ihrer Stückwahl die Opern im großen heroischen Stil favorisierte – wie dies für „Giulio Cesare“ 1723/24 und noch im Nachgang für „Lotario“ 1729 zu beobachten ist –, fällt eine besondere Experimentierfreudigkeit bei den Spielzeitgestaltungen der darauffolgenden Opernunternehmen Händels auf. Denn der Komponist musste reagieren, wenn er das Interesse des Londoner Publikums für die italienische Oper wieder zurückgewinnen wollte, nachdem die Royal Academy nach wirtschaftlichen Misserfolgen 1728 aufgelöst wurde. So kam es, dass neben nicht-heroischen Stoffen und Opern, die wie beim „Orlando“ (1732/33) „an der Schwelle zur komischen Oper“ (Silke Leopold) stehen, u. a. auch das englischsprachige Oratorium Eingang in die Theaterspielzeitplanungen fand. Ferner wurden diverse Opern-Pasticci aufgeführt, darunter „Alessandro Severo“ (1738). Alle Maßnahmen konnten allerdings nicht verhindern, dass den letzten italienischen Opern Händels in London nur ein mäßiger Publikumserfolg beschieden war. Dies trifft auch auf die heute sehr populäre Oper „Serse“ zu, die nach der Premiere am 15. April 1738 nach nur 5 Aufführungen abgesetzt wurde. Händels Bemühungen, die italienische Oper trotz aller Widerstände fest in der Londoner Gesellschaft zu etablieren, waren somit Anfang der 1740er Jahre gescheitert. Der Komponist schrieb in den Folgejahren keine Opern mehr, sondern konzentrierte sich auf das englischsprachige Oratorium.
Die Mehrzahl der oben genannten Operntitel erklingt bei den Händel-Festspielen 2023. Freuen Sie sich deshalb auf einen spannenden Streifzug durch das 30-jährige Opernschaffen Händels in London mit allen Höhen und Tiefen, dargeboten von sehr namhaften Interpretinnen und Interpreten der Barockmusik und bedeutenden Kooperationspartnern. Händels Opern sind heutzutage fest im Repertoire der Theater verankert. Wir können nur schwer nachvollziehen, gegen welche Widerstände der Komponist ankämpfen musste.
Mit der thematischen Schwerpunktsetzung soll mit Rückblick auf Händels Zeit auch ein Diskurs in der Gegenwart angeregt werden, in welcher Form die Oper weiterhin eine attraktive künstlerische Ausdrucksform ist. Einerseits wird diese Auseinandersetzung bereits bei einem Teil des Publikums geführt, insbesondere durch die Besucher*innen, die das moderne Regietheater ablehnen mit Verweis auf fehlende „Werktreue“. Andererseits hat diese auch eine kulturpolitische Dimension, wenn man der Frage nachgeht, an welche sozialen Zielgruppen sich die Oper wenden soll und in welcher Form sich die öffentliche Hand an der Finanzierung beteiligen muss.